Wie ich erfuhr war das Verkehrsministerium NRW der Meinung, dass Schmutzstreifen außerorts eine gute Idee wären. Wer den Erlass vollständig lesen will, wird hier fündig.
Wenn es keinen Radweg gibt, gibt es auch keinen Fußweg, dass heißt dass sich die Frage stellt, wie der Fußverkehr sich zu verhalten hat. Innerorts findet sich in Bereichen mit einem Schmutzstreifen immer ein Gehweg, sodass sich diese Frage nicht stellt, außerorts hätte man sowohl in der Untersuchung (siehe unten), wie auch im Erlass an diesen Punkt denken müssen. Mir ist klar, dass in der StVO steht am Fahrbahnrand dem Fahrzeugverkehr entgegen. Allerdings könnte es sein, dass einige auf die Idee kommen, dass sie nicht auf dem „Radweg“ laufen dürfen. Dass man diesen Aspekt gar nicht betrachtet hat, ist ein massives Versäumnis, was den Erlass aus meiner Sicht rechtswidrig macht.
Aber Schmutzstreifen sind aus meiner Sicht ohnehin eine schlechte Idee.
Zumindest hat man festgelegt, dass keine Schmutzstreifen bei Tempo 100 zulässig sind.
Allerdings liegt man daneben, wenn man diese Vorgabe macht:
„Es ist Sorge dafür zu tragen, dass der unter § 5 Absatz 4 StVO vorgeschriebene Mindestseitenabstand von 2,00 m für das Überholen mit Kraftfahrzeugen von zu Fuß Gehenden, Rad Fahrenden und Elektrokleinstfahrzeug Führenden überall eingehalten werden kann.“
Nicht nur der Mindestabstand muss eingehalten werden können, auch der Höchstabstand, der für LKW gemäß Rechtsprechung höher ist als für PKW. So gilt innerorts für LKW bereits 2 m als Mindestabstand, aufgrund der höheren Geschwindigkeit außerorts dürfte sich dieser Abstand wohl noch einmal erhöhen. Diese Rechtsprechung dürfte den üblichen Kommunalbeschäftigten wohl kaum geläufig sein.
Auch will man ein häufiges Ausweichen auf den Schmutzstreifen im Begegnungsfall vermeiden, macht aber seltsame Vorgaben für die Straßen. So soll die Kernfahrbahn nur 3,70 m zwischen den nach Ansicht von Verkehrsministerium 1,50 m breiten Schmutzstreifen ausreichend sein. Bereits bei weniger als 7 m Fahrbahnbreite sollen Schutzstreifen zum Einsatz kommen. Wie das aussieht kann man in Duisburg am Flutweg sehen. Die durchschnittliche werktägliche Verkehrsstärke darf höchsten 4.000 Kfz/24h betragen, allerdings sei auch hier der Flutweg als Negativbeispiel angeführt. Da sich der Verkehr nicht gleichmäßig über den Tag verteilt, gibt es Zeiträume in denen es zu extrem vielen Begegnungsfällen kommt. Und dann erlaubt man in Ausnahmen sogar noch mehr KFZ. Ein Vorgabe für die maximale KFZ-Zahl pro Stunde fehlt, obwohl das ein relevanter Parameter ist.
Auch hat man nicht auf die „Ergebnisse des Modellprojekts Schutzstreifen außerorts“ hingewiesen. Vielleicht auch deshalb, weil man Erkenntnisse aus dem Abschlussbericht ignoriert hat. So kann man dem Bericht entnehmen, dass in den Niederlanden die Höchstgeschwindigkeit auf Straßen mit Schmutzstreifen überwiegend nur 60 km/h ist.
Die Erkenntnisse aus dem Bericht für außerorts decken sich überwiegend mit den Beobachtungen, welche ich innerorts am Flutweg machen konnte.
Nur beim Thema Geschwindigkeit weiß ich nicht, wie die KFZ vorher gerast sind. Der Bericht merkt:
„Das Geschwindigkeitsniveau ist insgesamt vorher wie nachher deutlich zu hoch.“
und
„Auf den Strecken mit verringerter zulässiger Höchstgeschwindigkeit liegt der Anteil der Übertretungen zwischen etwa 60 und 90 %.“
an. Das heißt viele halten sich nicht an die Verkehrsregeln und gefährden dadurch Dritte. Schmutzstreifen werden an diesem kriminellen Verhalten, die Gefährdung Dritter billigend in Kauf zu nehmen, nichts ändern.
Sehr bedenklich ist dieser Punkt:
„Beim Überholen traten im Vorher-Nachher-Vergleich geringere Seitenabstände zwischen Pkw und Rad auf (im Mittel Verringerung um 0,10 m auf 1,45 m). Dies entspricht auch den Erkenntnissen aus anderen Untersuchungen zu Schutzstreifen (vgl. Kap. 3).“
Ohne Schmutzstreifen ist der Seitenabstand sogar größer als mit, dass heißt die Gefährdung erhöht sich durch den Schmutzstreifen erheblich. Vordem Hintergrund, dass viele Polizeibehörden gar nicht oder zu selten die Seitenabstände kontrollieren, ist dies ein sehr bedenkliches Ergebnis, was durchaus für mehr Tote und Verletzte sorgen kann.
Die Situation verschärft sich sogar noch für schmale Straßen mit vielen KFZ:
„Auf schmalen Strecken mit höherer Kfz-Belastung (Kfz/d > 2.000 Kfz/Tag) wurden in der Nachher-Situation deutlich höhere Anteile von als kritisch einzuschätzenden Abständen unter 1,0 m gemessen.“
was nur logisch ist, weil KFZ-Fahrende ungeduldig sind und schnell vorbei wollen und da nicht kontrolliert wird, lohnt sich Rücksichtnahme auch nicht. Man erkennt an diesem Punkt deutlich, dass Schmutzstreifen, Radfahrende gefährden. Berücksichtigt wurde dies im Erlass des Verkehrsministerium NRW nicht.
Der Bericht ist zwar von 2017, aber ob sich die Kenntnislage inzwischen deutlich verbessert hat, darf bezweifelt werden.
„Die Kenntnis der Regelung „Schutzstreifen“ ist den meisten befragten Personen nicht hinreichend klar. So gaben 44 % der befragten Kfz Fahrenden an, man dürfe den Schutzstreifen befahren, müsse aber auf den Radverkehr achten. Nur ein Drittel gab korrekt an, dass der Streifen nur bei Bedarf befahren werden darf.“
Und da es auch keine regelmäßigen Schulungen für Autofahrende gibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies irgendwann mal alle wissen sehr gering. Frühestens wäre das denkbar, wenn alle, die vor der Einführung von Schmutzstreifen den Führerschein gemacht haben, nicht mehr Leben bzw. nicht mehr fahren.
Man folgert im Bericht aus weniger Unfällen eine positive Wirkung des Schutzstreifens, obwohl dieser Effekt überwiegend auf geringere Geschwindigkeit zurückzuführen sein dürfte.
Was der Bericht mit dieser Aussage, sagen will, erschließt sich mir nicht:
„Die Videobeobachtungen zeigen eine vollständig regelkonforme Nutzung der Schutzstreifen durch die „echten“ Rad Fahrenden.“
Da es keine Vorgaben zur Nutzung des Schutzstreifens für Radfahrende gibt, dies also rein freiwillig ist, gibt es auch keine regelkonforme Nutzung. Kann es gar nicht geben. Was will man damit also sagen? Haben die Autoren auch nicht den Unterschied zwischen Schutzstreifen und Radweg verstanden?
Sogar der Bericht selbst kommt zu dem Schluss:
„Als sicherheitsrelevantes Problem im Zusammenhang mit der Markierung der Schutzstreifen ist das häufigere Auftreten verringerter Seitenabstände von Kfz beim Überholen von Rad Fahrenden in einem potenziell kritischen Bereich bei der Kombination hoher Kfz-Verkehrsstärken mit schmalen Fahrbahnen zu werten. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der hohen gefahrenen Geschwindigkeiten auf den Strecken als kritisch zu werten.“
Dies würde aber in einem Erlass, der Schmutzstreifen außerorts erlaubt, die Konsequenz haben müssen, dass in dem Bereich eine erhöhte Kontrolldichte zur Einhaltung des Seitenabstandes etabliert werden muss. Wenn aber die Polizei Kontrollen verweigert, dürfte man eigentlich keine Schmutzstreifen anordnen, weil dies ansonsten die Gefährdung erheblich erhöht. Ich würde wetten, dass die Stadt Duisburg es trotzdem machen würde.
Und letztendlich heißt es auch:
„Für Kfz-Verkehrsstärken über 4.000 Kfz/Tag können aufgrund des Untersuchungsansatzes keine Empfehlungen gegeben werden.“
Dennoch erlaubt der Erlass genau das und ohne das man erkennt, wie man dort zu diesem Schluss gelangt ist. Man gewinnt den Eindruck, dass es hier um das Erreichen des politischen Ziels einer bestimmten Anzahl von Radwegen geht und alles andere, wie etwas Verkehrssicherheit da nebensächlich ist. Wie auch schon den S-Pedelec-Erlass so ist auch der Schmutzstreifenerlass ganz sicher kein Indiz für eine nachhaltige Verkehrswende.
In diesem Sinne: Farbe ist keine Infrastruktur!

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